Mittwoch, 19. September 2012

Viel Aufruhr um unbewohnte Inselchen

Im Fernen Osten rumort es – und das liegt nicht an einem Schundfilmchen, das die religiösen Gefühle einer Gruppe verletzt. Sondern an acht Felseninseln im Meer, bekannt als Diaoyo (in der Volksrepublik), Diaoyutai (in Taiwan) oder Senkaku (in Japan). Der Nationalismus feiert Urständ, und das kostet. Nerven, vor allem aber Geld. Viel Geld.

Man kommt aus dem Staunen nicht heraus: In China gehen Leute auf die Strasse. Nicht nur in einer, sondern koordiniert in 85 Städten. Und sie werden von der Polizei nicht verhaftet oder verdroschen, sondern eher wohlwollend eskortiert. Schliesslich geht es gegen den anmassenden, ungeliebten Nachbarn Japan, nicht etwa um Mitbestimmung im Staat oder um ein Ende der Einparteien-Herrschaft. Zuerst wurden nur japanische Autos, Restaurants und Supermärkte angegriffen. Inzwischen sind chinesische Badminton-Spieler von einem Turnier in Japan und japanische Radsportler von der Tour de Chine abgezogen worden. Verschiedene japanische Konzerne haben ihre Fabriken in China geschlossen, bis auf weiteres. Und japanische Waren sind von den Strassenmärkten in China verschwunden.

Felsen in der Brandung, Stein des Anstosses: Einige der umstrittenen Inseln.

Hoher symbolischer Wert – und mehr
Entzündet hat sich die Empörung vieler Chinesen an einer kleinen, unbewohnten Inselgruppe. Acht kleine Felsen im Ostchinesischen Meer, die aber in ergiebigen Fischgründen liegen und unter denen Erdgas- und Erdölvorkommen vermutet werden. Dazu kommt, dass Peking seit Jahren die Flotte am Ausbauen ist und erklärtermassen die strategische Kontrolle über die erste Inselkette vor der Küste Chinas zu erlangen sucht. Lange waren die grössten fünf Inseln in japanischem Privatbesitz. Zu Tumulten kam es erst, als der japanische Staat die Inseln den privaten Besitzern beziehungsweise der Stadt Tokyo abkaufen wollte. Diese quasi-offizielle Landnahme war für viele Chinesen zu viel. Zumal der ganze Vorgang sich kurz vor dem Jubiläum des Angriffs Japans auf die Mandschurei von vor 81 Jahren abspielte.

Die KP Chinas sieht sich besonders in der Pflicht: Dem Sozialismus hat sie de facto abgeschworen, Militarismus und Nationalismus verbleiben ihr als Fundament, und die Wahrung beziehungsweise Wiederherstellung der territorialen Integrität Chinas sieht sie als ihre wichtigste Aufgabe. In dieser Hinsicht zu versagen, müsste einen enormen Gesichtsverlust nach sich ziehen und könnte die Macht der Partei im Innern unterhöhlen. Also gilt es, unbedingte Härte zu demonstrieren, indem die militärische Option ausdrücklich nicht ausgeschlossen wird. Denn das wäre ein Zeichen der Schwäche und mit nicht absehbaren Konsequenzen bezüglich des Machterhalts des Parteiapparates verbunden.

Ansicht der Ryukyu-Inselkette - die umstrittenen Inseln sind hier noch nicht verzeichnet.

Die Fusstruppen der beiden Staaten sind bisher ungewöhnlich: Japan entsandte Landvermesser und einige hypernationalistische Parlamentsabgeordnete, China zuerst von Hong Kong aus eine Gruppe von angeblich ohne staatliche Autorisierung operierenden Aktivisten auf einigen wenigen Booten und nun soeben eine Flotte von gegen tausend mit Propaganda zugepflasterten Fischerbooten. Diese werden in den Gewässern rund um die Inselgruppe schon von der japanischen Küstenwache erwartet, ihrerseits jedoch von Schiffen der chinesischen Marine begleitet. Auch die Republic of China, eher als Taiwan bekannt, mischt im Ringen um die Inselchen mit: Die taiwanesische Marine hat ihrerseits Patrouillenboote entsandt, offiziell zum Schutz der eigenen Fischer, die in den Gewässern operieren. Ein explosiver Mix, bei dem nur ein Kapitän die Nerven verlieren muss, um eine weitere Eskalation loszutreten.

Fragwürdige Begründungen auf allen Seiten
Bemerkenswert ist, wie die drei Akteure ihre Ansprüche an die Inselgruppe begründen: Japan beruft sich auf die Nähe zu Okinawa und den südlichsten Inseln der Ryukyu-Kette, Miyako und Yaeyama. Zudem seien die Inseln jahrzehntelang in japanischem Privatbesitz gewesen. Nach dem Abzug der US-Truppen aus der Region habe Japan die Inseln seit 1972 verwaltet, ohne dass dies ein Anlass für gewalttätige Konflikte gewesen sein. Auch die Volksrepublik China beruft sich auf die Tradition, meint damit aber, dass schon seit Jahrhunderten chinesische Fischer rund um die Inseln auf Fang gehen. Zudem will Peking die Ansprüche an die Inseln mit neuen geologischen Ansprüchen untermauern: Die Inseln seien Teil der chinesischen Festland-Platte und nicht etwa der Ryukyu-Kette, wird behauptet. Wer die Argumentation der Volksrepublik genau liest, stutzt aber unweigerlich.

Denn da wird seitens Peking unverblümt behauptet, die Diaoyo-Inselgruppe gehöre zu Taiwan (so weit bin ich noch einverstanden), und Taiwan gehöre zu China. Dieser Zusatz wiederum ist höchst umstritten. Denn Taiwan hat über die Jahrhunderte hinweg als Bindeglied zwischen China und Japan gedient, meist für den Handel. Die Flagge der Volksrepublik hat noch nie über Formosa geweht. Und wenn es in Taiwan je zu einem Referendum über die Zugehörigkeit zu China kommen sollte, ist das Resultat absehbar: Über 80 Prozent werden dies kategorisch ablehnen, vermutlich eher mehr. Kein Wunder, hat Peking schon verlauten lassen, dass ein solches Referendum als Unabhängigkeitserklärung aufgefasst würde – und damit als Casus Belli, als Vorwand für eine militärische Intervention, lies: einen Angriffskrieg. Ungemütlich, da permanent 1500 Mittelstrecken-Raketen der Volksarmee vom Festland aus auf die Insel gerichtet sind.




Eingezoomt: Lage der acht Mini-Inseln im Ostchinesischen Meer.


Wie weiter mit den Inseln?
Während vereinzelt sogar aus Taiwan von (wenn auch kleinen) antijapanischen Demonstrationen berichtet wird, scheint sich die Regierung ihrer wichtigen, vermittelnden Rolle durchaus bewusst zu sein: Aussenminister Timothy Yang hat beide Seiten zur Mässigung aufgerufen – und zu einer friedlichen Lösung des Disputs. Auch Präsident Ma Ying-Jeou sieht die einzig gangbare Lösung in einem kooperativen Vorgehen. Weil die Regierung Taiwans von China nicht anerkannt wird, dürfte Peking diese Aufrufe einfach ignorieren oder gar zu einer Breitseite gegen Taiwan nutzen. Aufrufe der US-Regierung zu grösster Zurückhaltung wurden ebenso scharf zurück gewiesen: Diese Angelegenheit gehe die Amerikaner gar nichts an, wurde Verteidigungsminister Leon Panetta schon im Vorfeld des Besuchs in Peking beschieden. Die Volksrepublik sieht sich militärisch wie wirtschaftlich am längeren Hebel und scheint entschlossen, dies auch voll auszuspielen.

Die nationalistische Empörungswelle kommt schliesslich zur genau richtigen Zeit: Die Führungsriege der noch immer allmächtigen KP muss in den kommenden Monaten neu besetzt werden, was nur alle zehn Jahre geschieht. Da kommt Ablenkung in Form eines Territorialdisputs wie gerufen. Also wird weiter gezündelt, damit das Volk sich über Japan empört und keine ungenehmen Fragen zum Skandal rund um den abgesetzten Bo Xilai und die Privilegien anderer Parteibonzen zu stellen beginnt. Und von Spekulationen über den Verbleib und den Gesundheitszustand des für zwei Wochen abgetauchten Kronprinzen Xi Jinping abgelenkt wird. In Zeiten potentieller Instabilität im Innern ist ein äusserer Feind noch immer der sicherste Kitt.

Bloss: Die Region ist wirtschaftlich aufs engste verknüpft, und in Zeiten der Eurokrise und einer weltweit stotternden Konjunktur kann sich eigentlich niemand einen derartigen Aufstand um einige unbewohnte Inselchen leisten. Schon gar nicht Taiwan, das als regionaler Drehpunkt stark vom Handel zwischen Japan und China profitiert. So bleibt nur die Hoffnung, dass niemand, auch kein Kapitän eines Schiffs der Küstenwache oder eines der rund tausend Fischerboote, die Nerven verliert, bis Xi Jinping als neuer, starker Mann der Volksrepublik im Sattel sitzt. Was noch mindestens zwei Monate dauern dürfte. Eine lange Zeit, um den Atem anzuhalten, aufs Beste zu hoffen und mit den täglich enormen Kosten eines Handelskriegs zwischen zwei fernöstlichen Grossmächten zu leben.

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