Dienstag, 25. Oktober 2011

Wahlen 2011 - eine Nachschau

"Wahltag ist Zahltag" - das krakelten die (Lohn-)Leserbriefschreiber der SVP in den vergangenen vier Jahren immer wieder und mit drohendem Unterton. Aber erstens kommt es anders - und zweitens als man denkt. Denn erstmals seit 1987 gilt: "(Weniger) Schweizer (als auch schon) wählen SVP".

Die Wahlen 2011 brachten für Schweizer Verhältnisse enorme Verschiebungen.

Die selbsternannten, einzig echten Schweizer von der Fholchspartei von CBs Gnaden mögen zwar die Schweiz flächendeckend und bis zum Erbrechen mit ihren Masseneinwanderungs-Plakaten tapeziert haben. Und auch in den Kommentar-Spalten liberaler Zeitungen waren die Blocherianer omnipräsent. Bloss: Erstmals seit 1987 setzte es an der Urne eine Watschn, auch wenn Toni der Knecht (auch als Grinsekatze-Brunner bekannt) das nicht einsehen will und statt dessen inb Verkennung der Tatsachen von Konsolidierung schwadroniert.

Optische Umweltverschmutzung im öffentlichen Raum: SVP-Hetze in Schwarz-Rot-Weiss,
den Farben des deutschen Reichs. Zufall, Herr Segert?

Darum muss es hier nochmals gesagt werden: Liebi Froue und Manne, ihr habt im Nationalrat 8 Mandate verloren, und an Stimmanteilen 2.3 Prozent. So etwas ist keine Solidierung, das ist eine Niederlage. Dass die SVP dies nicht so sieht, dürfte daran liegen, dass die finanzstärkste aller Parteien in der Schweiz sich mal abgesehen von Maiorz- und Bundesratswahlen kaum mehr an Niederlagen gewöhnt ist. Denn bei Plebisziten gelten schon 40 Prozent auf SVP-Linie als Erfolg, weil's ja mehr als der Wähleranteil ist.

Anmassend, unzutreffend, ausgrenzend und dumm: Der SVP-Slogan "Schweizer wählen SVP".

Wie lässt sich der überraschende Wahlausgang erklären? Es gibt im wesentlichen drei Ansätze:
1. Die SVP war nur auf die Ausländer-Thematik fixiert und hat andere Themen wie die Frankenstärke und die daraus resultierenden Probleme der Exportwirtschaft genauso wenig ernst genommen wie die Atomfrage nach Fukushima. Die Personenfreizügigkeit taugt eben nicht als Erklärung für ALLE Probleme.
2. Die Stimmberechtigten sind die seit zwei Jahrzehnten andauernde Polarisierung satt, weil genau diese Polarisierung dazu geführt hat, dass die Problemlösungs-Kapazität des Parlaments gelitten hat. Und zwar unter zwei nicht kompromissbereiten Pol-Blöcken, die beide zusammen stark genug für eine Blockade-Politik waren und nun prompt Wähleranteile (aber nicht unbedingt Sitze, das Proporzglück lässt grüssen) eingebüsst haben. Die Stärkung kompromissbereiter Mitte-Kräfte in Form von GLP und BDP spricht für diese Erklärung.
3. Die SVP hat diesmal den Bogen überspannt: Die flächendeckende Verunstaltung des öffentlichen Raums mit totalitär anmutender Symbolik und ausgrenzender, hetzerischer Propaganda wurde von den Stimmberechtigten als Belästigung empfunden und abgestraft. Genauso ging der ebenso anmassende wie unzutreffende Werbeslogan "Schweizer wählen SVP" nach hinten los.

Der Wahrheitsgehalt dieses leicht abgewandelten Plakats ist schon markant höher.

So sehr mir die Erklärungsvariante 3 gefällt, Belege dafür habe ich nicht. Mal abgesehen von meinem Empfinden. Ich hab mich in den vergangenen Wochen angesichts all der SVP-Plakate zeitweise fremd, da von der Propaganda mitgemeint und ausgegrenzt gefühlt in der Schweiz - und das nach 36 Jahren im Land. Eine bedenkliche Tendenz, wenn sich Menschen, die zwar in der Schweiz geboren wurden, aber nicht im Besitz des roten Passes mit dem weissen Kreuz sind (meiner ist weinrot), wegen politischer Propaganda einer Regierungspartei im Lande fremd zu fühlen beginnen. Und ganz sicher nichts, was man als "integrationsfördernd" bezeichnen möchte.

Mein Fazit: Ich hab von Wahlplakaten im Moment die Schnauze gestrichen voll, egal von welcher Partei sie stammen. Und ich hoffe schwer, dass die erstarkte Mitte für einen anderen Grundtenor in der Politik sorgen wird. Wenn als gemeinsame Vision dann eine "andere Schweiz" ins Auge gefasst wird, wie ich sie bereits im Februar dieses Jahres auf diesem Blog skizziert habe, soll es mir recht sein. Die SVP-Parolen haben den Politbetrieb lange genug blockiert. Es ist Zeit für einen Aufbruch. Ein Aufbruch in die Zukunft, nicht in eine idealisierte Vergangenheit, die es so ausser am Ballenberg nie gegeben hat.

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