Montag, 29. November 2010

Der Westen, die Freiheit und der Islam – eine überfällige Replik

Die Saat von George W. Bush geht auf: Zwar ist der Texaner längst zum Ex-Präsidenten und Memoiren-Schreiber geworden, aber viele kleine Dschordsch-Dabbeljuhs führen sein Werk weiter.

Wir gegen sie, Freiheit gegen Sklaverei, Zivilisation gegen Barbarei, Moderne gegen Mittelalter, christlicher Westen gegen die muslimische Welt: Das waren die Frontlinien, wie sie George Bush im Nachgang von 9/11 auf den rauchenden Trümmern der Twin Towers verkündete. Flugs fand sich dieses dichotome Feindbild in den Berichten zahlloser „embedded correspondents“, aber auch in vielen Produkten Hollywoods wieder – von TV-Serien wie 24 bis zu verschiedenen Spielfilmen, ganz zu schweigen von kruden Machwerken, die im Internet zirkulieren. Muslime, mehr noch die Araber ersetzten die bösen Russen – und die Furcht vor ihnen trat so den Weg um die Weltkugel an.

Inzwischen wird diese Furcht, so irrational sie sein mag, von Rechtspopulisten in verschiedenen Ländern erfolgreich beackert – ob Pro Köln, HC Strache, Geert Wilders, die SVP oder die Schwedendemokraten: Immer wird vor dem expansiven, aggressiven Islam und seinen überaus reproduktiven Gläubigen gewarnt (auch Sarrazin und seine Sorge um das sich selbst abschaffende Deutschland gehören hierhin), welche zum Sturm auf das christliche Abendland ansetzten. Dabei wird zwischen weltlich orientierten, gemässigten Muslimen und in der Wolle gefärbten, gewaltbereiten Islamisten kein Unterschied gemacht. Alle gelten sie als Feinde der Freiheiten des Abendlandes, alle wandern in ein und dieselbe Schublade - der Generalverdacht feiert Urständ. Nur konsequent, dass einige Kommentierende nur noch von Islamisten und nicht mehr von Muslimen schreiben.

Wenn sich die Rechtspopulisten zumindest hinter die Europäische Menschenrechtskonvention als Verbriefung der Freiheiten des Abendlandes stellen könnten, wäre ihre Argumentation weit stringenter. Aber das tun sie nicht, denn diese Konvention sieht keine Diskriminierung auf Grund des Glaubens vor: Der Mensch wird als Individuum unbesehen seines Glaubens durch diese Rechte geschützt. Stattdessen wollen die Rechtspopulisten den Muslimen das Leben im Abendland vergällen – und sind im Namen dieses Zieles bereit, wesentliche Fundamente genau dieses aufgeklärten Abendlandes zu entsorgen. Als da wären: Der laizistische, in Religionsfragen neutrale Rechtsstaat, die Kultusfreiheit und das Diskriminierungsverbot.

Mit dem Verweis auf eine christliche Leitkultur soll der Islam als Glauben der Unfreiheit isoliert werden – bloss: Die Freiheiten des Abendlandes wurden nicht von, sondern gegen die Kirche erkämpft, im Zuge von Renaissance und Aufklärung. Während die Kirche (und die mit ihr verbündete Obrigkeit) brave Schäfchen und Untertanen wollte. Noch in den 50er Jahren war religiös unterfütterte Intoleranz gegen von der Norm abweichende Lebensentwürfe in den Staaten Europas weit verbreitet, wie man sie nun Ländern mit einer muslimischen Mehrheit vorwirft. Ein in den Augen Strenggläubiger lotterhafter Lebenswandel konnte damals auch in der Schweiz zu einem fürsorgerischen Freiheitsentzug führen – oder gar zu einer Zwangssterilisation. Schöne, europäische Freiheit, wie gut, dass wir das Mittelalter schon so lange hinter uns gelassen haben!

Wer von einer christlichen Leitkultur schwadroniert, ist des gleichen (Un-)Geistes Kind wie ein Islamist – weil er das Primat des Staates und der Gesetze vor der Religion nicht akzeptiert. Und weil man mit diesem Schlagwort entgegen dem Geist des Diskriminierungsverbotes dem christlichen Glaubensbekenntnis eine privilegierte Stellung einräumen will. Was umso falscher ist, als die konfessionell aufgesplitterte Christenheit mittlerweile nur noch Minoritäten zu bieten hat, die laut Volkszähllung in ihrer Grösse mit den komplett Ungläubigen in etwa auf einer Stufe stehen. Im Fall des Minarett-Verbots hat dieses verquaste Denken schon Einzug in de Verfassung der Schweiz gehalten. Zugleich wird von Seiten der Rechtspopulisten unablässig darauf hingewiesen, dass sich Muslime nicht in unsere Kultur integrieren liessen.

Dem muss man entgegnen: Religion ist eine strikte Privatsache, ja muss dies im laizistischen Rechtsstaat geradezu sein. Dies ist eine Lehre aus Jahrhunderten, während der sich die Leute wegen Konfessionsfragen in Europa die Schädel eingehauen haben. Daher hat auch jede Ungleichbehandlung der einen oder anderen Gruppe zu unterbleiben – weder Bevorzugung noch Diskriminierung liegen drin. Und so lange eine Glaubensgemeinschaft keine Gefahr für die öffentliche Ordnung darstellt, hat man ihr auch die ihr zustehenden Freiheiten zu gewähren.

Weil Religion eine strikte Privatsache zu sein hat, ist auch meine Haltung zum Stichwort Shariah klar: Eine Einführung derselben kommt nicht in Frage, weil dann nicht mehr gleiches Recht für alle Bewohner des laizistischen Rechtsstaates gelten würde. Gleichzeitig kommt aber auch ein Kopftuch- oder Burkaverbot nicht in Frage, weil dies einseitig gegen eine Glaubensgemeinschaft gerichtete Gesetze wären – die damit in Konflikt mit dem Diskriminierungsverbot und der Kultusfreiheit gerät.

Ich beobachte einen gross angelegten Versuch religiös-christlicher Kreise, sich wieder verstärkt ins öffentliche Leben einzumischen. Das reicht vom Widerstand gegen Tagesschulen über die Forderung nach einer gleichberechtigten Behandlung des Kreationismus im Schulunterricht (schon mal vom Unterschied zwischen Glauben und Wissen gehört?) oder finanziellen Mitteln für freikirchliche Privatschulen bis zu moralinsauren Plakaten im öffentlichen Raum, die in gelben Lettern auf blauem Grund vor Sünde und Fegefeuer warnen und Christus als den einzigen Ausweg anpreisen. Auch im Abstimmungskampf um die Minarett-Initiative haben sich Freikirchlicher auf Seiten der Befürworter hervor getan.

So spielen radikale Christen, oft auch freikirchliche Kreise, der radikalen Minderheit unter den Muslimen den Ball zu. So schaukeln sich zwei radikale Minderheiten gegenseitig hoch – und nehmen die überwiegende Mehrheit der Gemässigten als Geiseln in diesem Ringen.

Höchste Zeit, dass die Gemässigten Gegensteuer geben.

Dass der Dialog wieder in Gang kommt.

Dass das Gemeinsame über das Trennende gestellt wird.

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