Mittwoch, 29. September 2010

Von der Tea Party, der SVP und der Doppelmoral

Die Musikzeitschrift Rolling Stone weitet schon seit einer Weile ihre Themenvielfalt aus - heute bin ich auf ein brilliantes Essay über das Wesen der Tea Party gestolpert. Parallelen zur SVP und ihrer Anhängerschaft sind vermutlich rein zufällig - NOT!

In seinem Essay beschreibt Matt Taibbi, wie er sich in die Provinz Kentuckys begeben hat, um an einer Convention dem Wesen der Tea Party auf den Grund zu gehen. Diese Bewegung des wütenden Mittelstandes, die sich gegen Staatsausgaben, Sozialstaat (oder im Fall der USA eher zarten Ansätzen zu so etwas wie einem Sozialstaat), das politische Establishment und Steuern richtet, hat in den vergangenen Monaten weltweit für Furore gesorgt. Auch, weil sich die unsäglich dämliche Sarah Palin zu deren Gallionsfigur erhoben hat. Die selbe Sarah Palin, die ihre Nomination zur Vizepräsidentschaftskandidatin (und damit ihre Bekanntheit über Alaska hinaus) überhaupt nur dem republikanischen Partei-Establishment zu verdanken hat.

Taibbi's Beobachtungen an dieser Convention sind sehr bemerkenswert: In der ganzen, grossen Halle sieht er nicht einen Schwarzen im Publikum. Dafür umso mehr betagte Weisse - viele davon in Rentner-Mobilen mit elektrischem Zusatzantrieb. Wie sich heraus stellt, wurden diese Mobile erst kürzlich mit Geldern gekauft, welche diese Leute von Medicare erhalten haben - also einzig dank der von ihnen selbst als sozialistisch und das amerikanische Wesen verratend denunzierten Gesundheitsreform, welche die Obama-Administration durchgepaukt hat. Taibbi kommt zum Schluss, dass die Anhänger der Tea Party nur so lange gegen Ausgaben des Staates sind, wie diese nicht in ihre eigenen Taschen fliessen. Auch Rand Paul, eine weitere Gallionsfigur der Tea Party-Bewegung, bezieht als Arzt einen guten Teil seines Einkommens aus Medicare-Mitteln, ohne dass er das verwerflich findet.

Ein stossende, ja unfassbare Doppelmoral? Ach was, man betrachte sich doch nur einmal die Wählerschaft der SVP, die hier in der Schweiz dem Staat die Ausgabenfreudigkeit abgewöhnen will - zumindest posaunen ihre Exponentne das bei jeder Gelegenheit heraus. Mit den Rentnern und den Bauern sind in der SVP-Wählerschaft schon mal zwei Gruppierungen vertreten, die einen guten Teil ihres Einkommens vom Staat beziehen. Dazu kommen Banker, deren Arbeitgeber nur dank der staatlichen Rettungsaktion überhaupt noch existieren, und Gewerbler, die vom Staat, stärker aber noch vom regionalen Filz vor unbotmässiger Konkurrenz geschützt werden und so weiter wie die Maden im Speck auf der Hochpreisinsel Schweiz leben können. Und Berufssoldaten, und Polizisten, und Gemeindeangestellte...

Kurzum: Ein buntes Sammelsurium an Gruppen, die dem Staat auf der Tasche liegen. Weil sie aber weder Ausländer noch Drögeler oder arbeitsscheu sind, bilden sie sich ein, dass sie das zurecht tun und die Gelder vom Staat redlich verdient haben. Der Staat soll bloss den anderen nichts mehr zahlen, erst recht den Ausländern nicht! Hier kommt zur Doppelmoral noch das Element der Missgunst dazu, von den Boulevardmedien und dem selbsternannten Blatt der kritischen Elite (das ich nicht lache, Herr Köppel) immer wieder mit knackigen Geschichten über BMW-fahrende Sozialhilfebetrüger genährt.

Man verzeihe mir, wenn ich mir die Freiheit nehme, derart argumentierenden Mitmenschen nicht zuzuhören. Ob Tea Party oder SVP: Das beleidigt meinen Intellekt, und so etwas brauch ich mir freiwillig nicht anzutun. Doch die Parallelen gehen noch weiter: Einige Kommentatoren in den USA wollten sich nicht mit der offiziellen Entstehungsgeschichte der Tea Party anfreunden. Sie begannen an der Oberfläche zu kratzen, zu recherchieren - und stiessen auf das schwerreiche Brüderpaar Koch, das sein Geld im Immobilien- und Ölgeschäft gemacht hat. Und das die Tea Party von Anfang an nicht unwesentlich alimentiert hat.

Milliardäre, die auf der Klaviatur der Empörung einer von Ängsten vorm sozialen Abstieg bedrängten Mittelklasse spielen und dabei keine Tabus kennen: Auch das kommt einem irgendwie bekannt vor. Blocher anyone? Aus SVP-Kreisen kam in Diskussionen um einen EU-Beitritt immer wieder der Spruch, wonach nur die dümmsten Kälber ihre Metzger selber wählen. Heisst das nun, dass die SVP ihre eigenen Wähler beschimpft? Oder hab ich da um eine Ecke zu viel gedacht? Auf jeden Fall erscheinen mir Doppelmoral, Selbstgerechtigkeit und Missgunst die Zutaten für ein extrem unbekömmliches Rezept. Ein Rezept, das sich Rechtspopulismus nennt.

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