Donnerstag, 12. November 2009

Von Secondos und Eidgenossen

Die Erfolge der Schweizer U17-Fussballnationalmannschaft in Nigeria bieten Anlass, über Begriffe wie Überfremdung und «Eidgenossen» nachzudenken.

Auf Eurosport, wo die Spiele der U17-Fussball-WM bereits übertragen wurden, bevor sich der Vormarsch der Schweizer Mannschaft bis ins Halbfinale abzeichnete, spricht der Kommentator regelmässig nicht von Schweizern, sondern von «Eidgenossen» - dies vor allem, um sich nicht zu oft zu wiederholen. Angesichts der Tatsache, dass das Gros der Spieler der Schweizer U17-Fussballnationalmannschaft seine Wurzeln nicht in der Schweiz hat, ist das schon fast unfreiwillige Komik.

Denn in der Schweiz selbst wird das Wort «Eidgenosse» abgesehen vom Geschichts-Unterricht an der Primarschule (vom Rütli bis Marignano, alles andere ist heikel und voller Widersprüche und darum für Kinder nicht geeignet) nur noch selten verwendet. Dafür auffällig oft als Kampfvokabel von xenophoben Leserbriefschreibern, die sich etwas darauf einbilden, dass sie keinerlei Migrationshintergrund haben. Schweizer könne man durch einen administrativen Akt werden, argumentieren diese mir unheimlichen Patrioten. Eidgenosse sei man dagegen von Geburt an, oder eben nicht. Wer hier Blut und Boden heraus schmeckt, liegt nicht falsch. Wer an Inzucht denkt, wohl auch nicht.

Noch viel lustiger wird’s aber, wenn solche Zuschriften aus Gebieten wie dem Thurgau, dem Aargau, dem Waadtland oder dergleichen stammen. Denn diese Gebiete waren zur Zeit des Ancien Régimes Untertanen-Gebiete, welche von den Eidgenossen gemeinschaftlich und im Turnus geschröpft wurden. So ist es kein Zufall, dass die grössten und prächtigsten Häuser in der Altstadt des Thurgauer Hauptortes Frauenfeld Namen wie «Bernerhaus», «Zürcherhaus» oder «Luzernerhaus» tragen: Es waren die prunkvollen Sitze der Landvögte dieser Kantone, gebaut mit den vor Ort erhobenen Zwangsabgaben. Erst Napoléon setzte dem Ancien Régime und damit diesem Treiben ein Ende. Aber auch der Eidgenossenschaft.

Wir wollen sein ein einig Volk von Brüdern: Die U17-Nationalmannschaft,
eine veritable Weltauswahl - und bemerkenswert erfolgreich.

Wenn also irgendwelche Turbopatrioten das nächste Mal wieder meinen, sie müssten sich etwas darauf einbilden, dass sich ihre Familie über Jahrhunderte in der Schweiz nachweisen lasse, dann sollten sie doch bitte auch daran denken: Die Eidgenossenschaft war kein Rechtsstaat, neben vollberechtigten Burgern gab es Untertanen verschiedener Kategorien. Die einen waren etwas besser dran (etwa die Zürcher Oberländer, die der Stadt Zürich nach der Pfeife zu tanzen hatten), die anderen nochmals schlechter. Wie die Thur- und die Aargauer.

Für mich ist die aktuelle U17-Nationalmannschaft der Schweiz mit ihrem multiethnischen Background eine passende Vetretung dieses Landes auf internationaler Bühne. Wem vor solchen «Zuständen» graut, dem empfehle ich, den Passivsport-Konsum auf von der Migration noch nicht erfasste Sportarten wie Schwingen, Hornussen und Nationalturnen einzuschränken. Alle anderen dürfen sich gerne über die erfrischend freche Spielweise dieses Teams freuen – und über die Erfolge. Denn sie sind Erfolge einer Schweiz, die Fremden gegenüber offen ist und sich nicht abschottet. Und das, meine lieben, unheimlichen Patrioten, war in den vergangenen 150 Jahren das Erfolgsrezept dieses Landes.

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