Montag, 26. Oktober 2009

Von CO2-Fussabdrücken und Migranten

Der Jungstar der Schweizer Grünen verknüpft in einem Interview mit der Sonntagspresse Umweltprobleme, knappe Ressourcen und die Migrationspolitik. Damit folgt er einer unschönen Tradition – und das ruft nach einer Replik.

Betreffend der Migrationspolitik hat die kleine Schweiz einige ebenso unangenehme wie überraschende Wahrheiten auf Lager: So ist der rekordverdächtig hohe Ausländer-Anteil an der Wohnbevölkerung von deutlich über 18 Prozent vor allem der restriktiven Einbürgerungspolitik zu verdanken. Das ist nicht einfach so daher geredet: Selbst wohne ich seit 34 Jahren in der Schweiz, mit einem Unterbruch von 23 Monaten seit meiner Geburt. Mein Geburtsdatum ist laut meinem Ausländerausweis identisch mit dem Datum der Einreise. Herzlich willkommen im helvetischen Absurdistan.

Vor allem aber ist die Zuwanderung in die Schweiz vornehmlich eine Arbeitsmigration – und die oft verteufelten Grosskonzerne spielen dabei schon lange nur noch eine untergeordnete Rolle. Dafür waren Sektoren wie das Bau- und Gastgewerbe umso fleissiger, wenn es darum ging, billige Arbeitskräfte ohne gewerkschaftliche Organisation ins Land zu holen. Früher noch mit dem Saisonnier-Statut, welches die zeitlich begrenzte Aufenthaltsbewilligung vom Fortdauern des Anstellungsverhältnisses abhängig – und die Ausländer so zu garantiert protestfreien Befehlsempfängern in der Arbeitswelt machte. Wer aufmuckte, verlor zuerst die Stelle und in der Folge die Aufenthaltsbewilligung.

Der Fachmann spricht hier von einer bewussten Unterschichtung des Arbeitsmarktes: Erst die ausländischen Billiglohn-Arbeiter ermöglichten den kollektiven Aufstieg der Schweizer Arbeitnehmer. Diese gegen die Schlagkraft der Gewerkschaften gerichtete Stossrichtung der Migration war auch der Grund, warum die erste Forderung nach einer starren Obergrenze der ausländischen Wohnbevölkerung nicht von rechtsaussen, sondern vom Schweizer Gewerkschaftsbund kam.

Aus dem Unbehagen über die rasche Zersiedlung der Schweiz erwuchs eine braun-grüne Bewegung rund um den SD-Politiker Valentin Oehen (Bild links). Die Logik war simpel: Eine auf Autarkie bedachte, sich selbst genügende und vor allem ausländerfreie Schweiz würde weit schonender mit den Ressourcen umgehen. Bloss: Eine solche Schweiz passt zur globalisierten Welt wie die Faust aufs Auge.

Umso ärgerlicher, dass nun Bastien Girod als junger Hoffnungsträger der mir eigentlich durchaus sympathischen Grünen Partei genau diese Argumentation wieder aufnimmt. Denn bei genauer Betrachtung geht sie nicht auf: Von dem täglich zurück zu legenden Arbeitsweg über die pro Person in Anspruch genommene Wohnfläche bis zum CO2-Ausstoss des Fuhrparks dürfte die Wohnbevölkerung mit Schweizer Pass sich nur marginal von der ausländischen unterscheiden.

Ich gehe sogar davon aus, dass die wackeren Schweizer einen grösseren CO2-Fussabdruck hinterlassen, pro Nase gerechnet. Denn eine ganze Reihe von Indikatoren zeigen, dass namentlich junge Schweizer Familien aufs Land in ein Einfamilien-Häuschen zügeln, was die Zersiedelung fördert. Aber aufm Land ist die Welt halt noch vermeintlich heil – und der Anteil ausländischer Kinder in den Schulklassen gering (ich war meist das einzige, aber das nur so am Rande).

Landfresser, aber noch immer der Traum vieler Schweizerinnen und Schweizer:
Einfamilienhäuschen aufm Land, in Reih und Glied.

Der gut bezahlte Job in der Stadt wird deshalb nicht aufgegeben, also muss gependelt werden. Und weil das von Hinterkrachhausen aus nur schwer per öV geht, nehmen die morgendlichen Pendlerstaus weiter zu. Während man namentlich Migranten ausm Balkan eine gewisse Vorliebe für übermotorisierte, spoilerbewehrte Flitzer nicht absprechen kann, dürften die liebsten Autos von Herrn und Frau Schweizer kaum ökologischer sein: Ob BMW X5, VW Touareg oder Audi RS6, all diese feuchten Träume des Agglo-Automobilisten sind sperrige Dreckschleudern.

Als ökologisch bewusst lebender Ausländer, der in einer Mietwohnung in einer städtischen Tempo-30-Zone wohnt, statt einem Auto vier Fahrräder sein Eigen nennt und so viele Fahrten wie nur irgend möglich mit diesen und der Bahn erledigt, kann ich über Herrn Girods vereinfachte Sicht der Dinge nur staunen. Und vor allem darüber, dass er den gleichen Fehler wie die politische Rechte macht: Er regt sich über die rekrutierten Migranten auf statt über die rekrutierenden Arbeitgeber. Und da kippt die Argumentation in meinen Augen dann vom Unschlüssigen ins Unappetitliche - weil Sündenböcke gesucht statt Ursachen benannt werden.

2 Kommentare:

  1. Ursache des Bevölkerungswachstums in der Schweiz ist offensichtlich die Massenzuwanderung. Der Geburtenüberschuss kann es nicht sein, man weiss doch aus dem eigenen Umfeld, wie viele Landsleute wegen Überfremdung, Wirtschaftskrise und Schulchaos auf Nachwuchs verzichten.
    Trotz Masseneinbürgerungen, schlimmer als früher in Frankreich ist die statistische Überfremdung bei über 21 % angelangt.

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  2. Masseneinbürgerungen? Das ist rechtspopulistisches Gewäsch. Ich lebe seit 34 Jahren in der Schweiz und habe den Pass NICHT. Dasselbe gilt für drei meiner fünf Geschwister. Die Schweiz sorgt durch hohe Hürden bei der Einbürgerung selbst für eine hohe Ausländerquote. Gewisse Parteien wollen ja ihr Süppchen am Köcheln halten.

    Nochmals: Welche Branchen holen ungelernte Billigarbeiter ins Land? Und in welcher Partei engagieren sich die Patrons aus diesen Branchen?

    Antwort: Bau, Gastgewerbe, Landwirtschaft - SVP.
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