Sonntag, 4. Januar 2009

Die Konjunktur und der Radsport

Banken kollabieren, Autobauer rufen nach Notkrediten: Was hat dies für den Radsport zu bedeuten, der wegen anhaltender Dopingskandale ohnehin schon Mühe bekundet?

Die Meldungen wiederholen sich, egal auf welcher Ebene und in welcher Disziplin. Beginnen wir mal ganz klein, mit dem «4Cross Cup»: Nachdem der Walliser Nobel-Skiort Zermatt das zweijährige Engagement als Titelsponsor nicht verlängern mochte, suchen die Organisatoren um Daniel Knecht noch immer nach einem neuen Namensgeber für die Rennserie, die in drei Ländern über die Bühne geht. Für 7000 Fränkli wäre dieses Titelsponsoring zu haben – aber bisher fand sich niemand, der diesen bescheidenen Betrag investieren mag. Auch die nationale Mountainbike-Rennserie in der olympischen Disziplin Cross Country hatte nach dem Rückzug von «Swisspower» grosse Mühe, einen neuen Titelsponsor zu finden – und das trotz des exzellenten Rufs der Rennserie.

2008 gewann mit Linus Gerdemann ein Deutscher die wohl letzte Deutschland-Tour.

Auf weit grösserer Ebene sind Rennen wie die Österreich-Rundfahrt akut bedroht, nachdem Bernhard Kohl der Alpenrepublik zuerst maximale Glücksgefühle und dann einen ebenso kolossalen Kater in Sachen Radsport beschert hatte. Während die Zukunft der Österreich-Rundfahrt immerhin noch von der Sponsorensuche abhängt, ist der Vorhang für die Deutschland-Tour bereits gefallen. Kleinere Rundfahrten wie die Rothaus-Tour sahen sich wegen des Mangels an Sponsoren dazu gezwungen, das Konzept dahin gegend zu ändern, dass keine Profis mehr teilnehmen. Doch nicht nur im Rennkalender hinterlässt die doppelte Krise – einerseits diejenige der Wirtschaft, andererseits eine Vertrauens- und Interessens-Krise, die speziell den Radsport betrifft – tiefe Spuren.

From Heroes to Zeroes: Zwei der prominentesten Dopingsünder der Saison 2008.

Der Arbeitsmarkt erodiert
Der Arbeitsmarkt für Radprofis ist ins Rutschen geraten: Im deutschsprachigen Raum zwang der Kollaps des Gerolsteiner-Teams eine Menge Radprofis zur Arbeitssuche. Dass die dopingbefeuerten Tour-Exploits von Kohl und Schumacher nicht zum Saubermann-Image des Teamchefs Holczer passten und damit die Sponsorensuche eher erschwerten als erleichterten, sei hier nur am Rande erwähnt. Nicht alle Profis haben Unterschlupf bei neuen Teams gefunden, die eine oder andere Karriere kam zu einem verfrühten Ende. Das gleiche hatten zwei Jahre zuvor die Profis des Teams Phonak erlebt, nachdem mit Floyd Landis der dritte Kapitän in Serie als Schummler entlarvt worden war.

Die markanten, roten Trikots des Benfica-Teams verschwinden aus dem Peloton.

Selbst aus dem iberischen Raum, lange ein Schlaraffenland für dopinggeeichte und -willige Radlerrecken, erreichen einen nun die Krisensignale: So mussten bereits während der Saison 2008 einige Teams notfallmässig neue Sponsoren finden, und was zunächst als portugiesischer Radsport-Frühling erschien, ist nun ebenfalls in sich zusammen gefallen. Kein Wunder, basierte der Boom Portugals als Radsportland doch allein darauf, dass die Dopinggesetze hier anders als in Spanien noch nicht verschärft worden waren. Entsprechend kann es kaum überraschen, dass eher dubiose Figuren ein Auskommen in Portugal suchten. Zu den Zuständen im portugiesischen Radsport bietet dieses Feature von Cycling News einen erhellenden Einblick.

Sein Tod führte zu den Razzien im Umfeld des Teams LA-MSS: Bruno Neves, mit 26 tot vom Fahrrad gefallen. Ein Dopingtoter mehr, und gewiss nicht der letzte. Leider.

Insider schätzen, dass zur Zeit etwa 50 Radprofis aus dem iberischen Raum nach einem neuen Team suchen, nachdem führende Equipen wie «Benfica» oder «LA-MSS» (letztere unter mehr als skandalösen Umständen, nachdem mit Bruno Neves ein Fahrer des Teams tot vom Rad gefallen war) die Segel gestrichen und verschiedene spanische Zweitdivisionäre ihre Kader wegen reduzierter Budgets stark ausgedünnt haben.

Auch in den Vereinigten Staaten haben die Wirren um Michael Ball’s «Rock Racing»-Equipe dazu geführt, dass eine Reihe von Radprofis wieder auf dem Markt – oder weniger positiv gesagt: ohne sichere Anstellung für die kommende Saison sind. Ball redimensionierte sein Radsport-Engagement, nachdem der Umsatz seiner Modeboutiquen eingebrochen war.

Hat seine grossen Pläne wegen der Krise stark redimensioniert:
Michael Ball, hier inmitten einiger Rock&Republic-Showgirls.

Sponsoren als Wackelkandidaten?
Womit wir bei der aktuellen Wirtschaftskrise wären, die vor allem den Finanzsektor und die Automobilindustrie betrifft. Nur in einem geringen Umfang sind Autobauer im Radsport engagiert, etwa beim Team «Mitsubishi-Jartazi». Aus den USA erreicht uns die Kunde, dass Volkswagen sich nach 13 Jahren als Teamsponsor mit Trek aus dem Bike-Rennsport zurück zieht. Und in Europa wollte eigentlich Fiat zusammen mit Scott und Red Bull ein Downhill-Rennteam auf die Räder stellen, ehe die Wirtschaftskrise die Turiner zum Umdenken zwang.

Wie sieht es mit dem Engagement der Finanzbranche aus? Nun, mit Crédit Agricole ist eine erste Bank bereits ausgestiegen, was aber nur sehr am Rande mit der Krise zusammen hängt. Dagegen hat sich Caisse d’Epargne soeben und trotz schwierigem Geschäftsgang zum Engagement im Radsport bekannt. Mit Rabobank, Saxo Bank und Cofidis befinden sich drei weitere Akteure der Finanzbranche im Sponsorenpool der obersten Radsport-Liga. Ob sie sich dort halten können, wird die Zeit zeigen. Bjarne Riis Sponsoren-Paket scheint auf besonders wackligem Fundament zu stehen, denn mit der «iT Factory» erwies sich der Co-Sponsor des Teams als betrügerische Seifenblase. Der Firmengründer sitzt inzwischen hinter Gittern.

Muss sich einen neuen Co-Sponsor für sein Team suchen: Bjarne Riis.

Gestiegene Erwartungen, auch an die Ausrüster
Auch bezüglich der Ausrüster der Radprofi-Equipen ändert sich auf die Saison 2009 hin so viel wie selten zuvor. Und aus manchem Pressecommuniqué zu solchen Ausrüster-Wechseln wurde klar: Inzwischen reicht es für einen Fahrrad-Hersteller längst nicht mehr, das ganze Material für die Equipen zu stellen. Vielmehr wird auch ein finanzielles Engagement erwartet, in Form eines substantiellen Co-Sponsorings. Einen erhellenden Hintergrundbericht zur Thematik bietet die belgische Website www.wieleruitslagen.be, unter besonderer Beachtung des Engagements der Software-Firma CSC.

Ziehen nun nicht mehr am gleichen Strick: Oleg Tinkoff (re.) und Andrei Tschmil (Mi.).

Zudem hat sich Oleg Tinkov aus dem Radsport zurück gezogen, nachdem er sich mit seinen Kompagnons, allen voran Andrej Tschmil überworfen hatte. Tinkov hatte ein russisches Nationalteam vorgeschwebt, Tschmil wollte eine Equipe mit internationalen Stars – und setzte sich durch. Womit wir bei denen sind, die trotz Krise Geld in den Radsport reinbuttern. Da wären zuerst einmal die Oligarchen des Ostens, die sich zuerst beim kasachischen Team Astana austoben konnten. Und die nun mit Katjuscha, hinter dem Itera, Gazprom und Rostechnologie stehen, ein neues Spielzeug bekommen haben.

Nach den Russen die Briten?
Diese beiden Teams haben mit ihren vollen Transferkassen dafür gesorgt, dass der Arbeitsmarkt zumindest für die besten Radprofis nicht austrocknete. Gespannt sein darf man zudem, ob und wie sich Grossbritannien im Strassensport engagieren wird: Nach den überwältigenden Erfolgen in den Olympischen Bahn-Bewerben und der bisher stärksten Saison des jungen Sprinters Mark Cavendish erlebt der Radsport auf den britischen Inseln zur Zeit einen veritablen Boom. Die Absätze steigen signifikant, und der Staat investiert in die Infrastruktur wie in Förderprogramme für den Nachwuchs. Was nicht nur von spezialisierten Medien wie BikeBiz so wahrgenommen wird, sondern auch von Qualitätszeitungen wie dem «Independent».

NACHTRAG: H2O Teltech löst sich in Luft auf.
Passend zum gestrigen Blogeintrag wurde heute diese Meldung über die Radsport-Newsseiten verbreitet: Nachdem eine Bankgarantie ausblieb, ist das Strassenteam H2O Teltech am Ende, bevor es realisiert werden konnte. Damit stehen weitere 18 Fahrer ohne Vertrag für 2009 auf der Strasse, darunter mit Jan Kuyckx, Wim Vanhuffel und Rubens Bertogliati auch einige nicht ganz unbekannte Namen.

1 Kommentar:

  1. Wirklich lesenswerte Artikel! Vielen Dank!
    Mich erstaunt nur wie stark so manche Sponsoringtätigkeit von der Konjunktur abhängig ist.

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