Freitag, 13. Juni 2008

Rechthaberische Intriganten

Der Radsport steckt weiter in der Krise – nicht zuletzt, weil zu grosse Egos einer einvernehmlichen Lösung im Wege stehen. Ein Bestandesaufnahme einen Monat vor der Tour de France.

Zwei Jahre nach dem Auffliegen des Blutpanscher-Rings um den spanischen Gynäkologen Eufemiano Fuentes und ein Jahr, nachdem sich der kasachische Staats-Rennstall Astana durch die positiven Doping-Tests der beiden Teamleader Vinokourov und Kasheshkin bis auf die Knochen blamiert hatte, kommt der Profi-Radsport nicht aus dem Jammertal heraus. Das liegt nicht so sehr an weiteren Doping-Enthüllungen (in dieser Hinsicht haben sich alle Beteiligten redlich Mühe gegeben, um weitere Skandale zu vermeiden – vor allem durch Wegsehen), sondern an Funktionären, die statt des ihnen anvertrauten Sports nur ihr Ego im Auge haben.

Mr. My way or Highway: Pat McQuaid - oder Mad PacQuaid?

Bereits vor der Fernfahrt Paris-Nizza hatte UCI-Präsident Pat McQuaid (aus als «Pat ohne Land und Verstand» bekannt) schweres Geschütz aufgefahren: Weil der Rennveranstalter ASO (Amaury Sports Organisation) sich dazu entschlossen hatte, dieses Rennen unter dem Patronat des französischen Radsport-Verbandes FFC und nicht unter demjenigen der UCI durchzuführen, drohte McQuaid den teilnehmenden Rennställen wie den Fahrern mit ernstzunehmenden Sanktionen. Diese Drohung entbehrte nicht einer gewissen Ironie, denn eben dieser Ir(r)e McQuaid hatte Ende der 70er Jahre ganz bewusst gegen Sanktionsbeschlüsse verstossen – und in den dunkelsten Jahren der Apartheid in Südafrika an Radrennen teilgenommen. Shame on you, Pat!

In keiner beneidenswerten Situation: Eric Boyer, Präsident der Vereinigung AIGCP

Doch McQuaids Drohungen fanden kein Gehör: Die Organisation der professionellen Rennställe (AIGCP) unter ihrem Präsidenten Eric Boyer sprach sich für eine Teilnahme an Paris-Nizza aus. Strafen gegen die startenden Fahrer wurden bis heute nicht ausgesprochen. Auch die Drohung, französische Radsportler von den Olympischen Spielen in Peking auszuschliessen, erwies sich als nicht durchsetzbar. McQuaid stand als Schwätzer da, der Gräben mutwillig vertieft hatte und dessen Wort keinen Cent wert ist. Zudem schlug er ein Vermittlungsangebot des neuen französischen Staatssekretärs für Sport Bernard Laporte aus: Was für eine Frechheit, dass sich ein Politiker in «seinen» Radsport einzumischen wagte, und noch dazu ein Franzose! Laut McQuaid brauchte es keinen Vermittler, sondern Loyalität und Gehorsam.

Wollte, aber durfte nicht vermitteln: Frankreichs Sportminister Bernard Laporte.

Der Konflikt zwischen der UCI und der ASO schwelte weiter, und Pat McQuaid verpasste keine Gelegenheit, um einige Schippen nachzulegen. So forderte er das Team Astana und Alberto Contador öffentlich auf, das Startrecht an der Tour de France vor dem internationalen Sportgericht CAS zu erzwingen – die UCI werde zu Gunsten Astana’s aussagen. Etwas später reichte Hein Verbruggen, der mittlerweile einen Sitz im IOC innehat und bei der UCI über seine Marionette McQuaid noch immer die Strippen zieht, als Privatperson eine Verleumdungsklage gegen den zurückgetretenen WADA-Chef Dick Pound ein. Dieser hatte während seiner Amtszeit die Untätigkeit der UCI im Kampf gegen Doping wiederholt scharf und offen (und zurecht) kritisiert.

Zieht weiterhin im Hintergrund die Strippen: Hein Verbruggen, Sportfunktionär von Beruf.

Als ob die Situation noch nicht verfahren genug wäre, hat die UCI weniger als einen Monat vor dem Start der Tour de France nun nochmals eine Umdrehung auf die Eskalationsschraube gegeben: Anlässlich einer Sitzung des «UCI Management Committees» brachte McQuaid den Antrag ein, die Mitgliedschaft des französischen Verbandes und all seiner Vertreter in sämtlichen Gremien der UCI bis Jahresende auf Eis zu legen. So eskaliert der Konflikt zwischen dem Weltradsportverband und dem wichtigsten Rennorganisator weiter , und die entscheidenden Gremien der UCI werden auf Linie gebracht.

Ungeliebter Störfaktor: Dick Pound, ehemaliger WADA-Präsident.
Mit Binnenpluralismus und dem Gedanken der demokratischen Mitsprache hat das alles nichts zu tun. Aber solche hehren Prinzipien haben in Sportverbänden ja auch nicht zu suchen. Wie diese Posse weiter geht, bleibt abzuwarten: Denn im Zuge des Skandals um den positiven Kokaintest bei Weltmeister Tom Boonen hat die UCI mit der Tour de Suisse auch einen Rennveranstalter vor den Kopf gestossen, der bisher stramm auf Seiten der UCI stand. Und während sich der Giro-Organisator RCS aus Opportunismus dazu entschloss, das Team Astana auf den letzten Drücker doch noch einzuladen, hat sich die ASO 49 Prozent der Anteile am Vuelta-Organisator UniPublic gesichert – und somit die eigene Position noch einmal gestärkt.

Wie weiter im Profi-Radsport?
Derweil werkelt die UCI fleissig an kleinen Rennen draussen in der Pampa, die mit dem Pro-Tour-Status geadelt werden. Und deren Termine sich rein zufällig mit denjenigen der grossen Landesrundfahrten überschneiden: Vom «GP Sotchi» in Russland über die «Presidential Tour of Turkey» bis zur erst als Projekt herum geisternden «China-Rundfahrt» reicht die Palette an Retorten-Anlässen, mit deren Hilfe die UCI den Radsport vordergründig globalisieren will. In Tat und Wahrheit geht es der UCI vor allem darum, ungenehme Verbände in den klassischen Radsportnationen in die Schranken zu verweisen – und sich statt dessen neue Mehrheiten in den massgeblichen Gremien zusammen zu basteln, gestützt auf Länder, in denen der Radsport weder über eine gewachsene Tradition noch über eine starke Lobby verfügt.

Ob dies für eine nachhaltige Entwicklung des Radsports Sinn macht, darf bezweifelt werden. Tatsache ist, dass die Herren McQuaid und Verbruggen bereits eine Unmenge an Geschirr mutwillig zerschlagen haben. Und dass mit diesen beiden eine einvernehmliche Lösung im Interesse des Sports nicht zu haben ist. Nicht, wenn dafür ihr Ego zurück stehen muss.

Wie wird es weiter gehen? Da keine Einigung in Sicht ist, dürfte es zu einer Zweiteilung des Radsports kommen. Auf der einen Seite die von der UCI protegierten Rennen, die keinen Hund hinterm Ofen hervor locken, aber sich mit dem ProTour-Status schmücken können. Und auf der anderen Seite die Monumente des Radsports, welche Jahr für Jahr die höchsten Einschaltquoten erzielen. Dafür spricht, dass im Moment ein Teil der ProTour-Equipen aus der Vereinigung AIGCP austritt – und sich somit offen gegen jegliche Bemühungen um eine Gesundung des Profi-Radsports stellen.

Gestatten? Piti, der berühmteste Hund des Radsports (links) und sein Herrchen, Alejandro Valverde. Letzterer ist auch als "Beutel 18" oder "valv./piti" bekannt und gehört gesperrt.

Zu den ausgetretenen Mannschaften zählen bis dato Caisse d’Epargne (mit diversen mutmasslichen Fuentes-Fahrern wie Alejandro Valverde an Bord), Astana, Milram, Liquigas, Saunier Duval und QuickStep. Der Umgang dieser Teams mit überführten Dopern (sei es als Teil der eigenen Mannschaft oder als zu verpflichtende Leistungsträger, etwa im Falle Ivan Bassos) lässt tief blicken – und konstatieren, dass diesen Teams die bisherigen Standards der Dopingbekämpfung nicht zu lasch, sondern zu strikt sein dürften. Die Verantwortlichen zeigen aufgeregt auf die kleineren ProConti-Equipen – und wollen doch nur eines: Auch so selten kontrolliert werden wie diese.

Eines sollte allen Beteiligten an dieser unendlichen Geschichte klar sein: Die Rennen der Radprofis sind Medien-Events. Die Sponsoren der Teams wollen Screentime für ihre Trikots. Also fliesst das Geld dorthin, wo die Chance auf eine medial möglichst umfassende Abdeckung am grössten ist. Und das sind nun einmal Rennen wie die Frühjahrsklassiker (Paris-Roubaix und Lüttich-Bastogne-Lüttich wären als die bekanntesten zu nennen) und die Tour de France. Und nicht Retorten-Anlässe wie der GP Sotchi oder die «Presidential Tour of Turkey».

In diesem Sinne: Wake up, Pat, before it’s too late. Oder um es mit den Beatles zu sagen: Let it be, Pat!

Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen